Es leckt im Internet. Eine Viertelmillion hochgeheimer Dokumente tröpfelt wohldosiert
in die Medienlandschaft, um den darum entstandenen Hype und die ebenso wohldosierte Aufregung
der Betroffenen mindestens mittelfristig möglicht auflagenstark (Für Onlinemedien:
werbewirksam) zu halten. Betroffene gibt es bei der grossen Zahl von Dokumenten natürlich
viele. Lediglich Aufgeregte noch viel mehr. Die grösste Überraschung bei dieser Sache
ist doch, dass sie eigentlich nicht überrascht. Diesen Zynismus im Umgang miteinander und wie
die Kunst des diplomatischen Smalltalks funktioniert, hat man doch vorher schon vermutet. Das
wird jetzt nur bestätigt, na und? Und dass das nicht nur von den USA so gehandhabt wird,
liegt auf der Hand. Krähen hacken einander nur deswegen keine Augen aus, weil sie zu sehr
damit beschäftigt sind, die eigenen zu schützen.
So regte sich im Zusammenhang mit der Wikileaks "Affäre" ein Deutscher SPD Politiker darüber auf,
dass die USA wohl etwas lax mit Sicherheit umgehen, wenn sie einem Obergefreiten den Zugang
zu vertraulichen Daten erlauben. Schön überheblich gesagt. Damit soll wohl auch
angedeutet werden, dass sowas in Deutschland nicht passieren kann. Was mal wieder deutlich macht,
wie weit entfernt vom wirklichen Leben Politik in diesem unseren Lande stattfindet.
Selbstverständlich haben auch in Deutschland Obergefreite Zugang zu vertraulichem Material.
Das geht gar nicht anders und das hat viele Gründe. Einer davon ist das Material selbst.
Was ist denn "vertraulich", was "geheim"? Wie brisant sind solche Dokumente wirklich?
Ich habe meinen Wehrdienst 1976/77 geleistet. Das war diese Zeit des Deutschen Herbstes, der doppelten
Paranoia aus Kaltem Krieg und hausgemachtem Terrorismus. Entsprechend angespannt war die Stimmung
in einer Kaserne, die auch noch ziemlich nahe der innerdeutschen Grenze lag. In den letzten Monaten
meiner Dienstzeit war ich auch Obergefreiter im Bataillonsstab. Da hatte ich es -nach erfolgreich
überstandener Sicherheitsprüfung- täglich mit Dokumenten zu tun, "deren Kenntnisnahme durch
Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann."
Das ist die niedrigste der hierzulande(man kann wohl stattdessen sagen: in der Nato) üblichen vier
Geheimhaltungsstufen. Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch, Kurz VS-NfD. Die Bezeichnung
sagt schon fast alles, man braucht es für den Dienst.
In meinem Wehrdienstalltag damals gehörten dazu beispielsweise auch die Dienstpläne, die in
jedem Gebäude für jeden deutlich sichtbar aushingen, auch für Besucher. Immerhin im abgeschlossenen Glaskasten,
Verschlusssachen sollte man schon verschliessen. In der schon erwähnten damaligen Paranoia war
eigentlich jeder Scheiss Verschlusssache, ein Wunder, dass nicht auch noch das Klopapier so gestempelt wurde.
Und eben diesen Geheimhaltungsgrad VS-NfD (NATO: restricted) haben sehr viele der ach so brisanten Wikileaks-Dokumente.
Die nächste Stufe ist dann Verschlusssache - Vertraulich. Das sind Dokumente, "deren Kenntnisnahme
durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann."
Nur ein kleiner Unterschied in der Formulierung, aber man merkt, welches System hinter den Beschreibungen
steckt. Das war die Sicherheitsstufe, die ich damals haben musste, um überhaupt im Bataillonsstab arbeiten zu können.
So wie wohl auch der Private 1st Class Bradley Manning. Nach meiner Erinnerung auch nicht viel spannender als die vorhergehende Stufe.
Man wusste halt nur etwas früher, wann ein völlig überraschender Nato-Alarm anstand.
Ziemlich banal eigentlich. Zumindest nichts, was man nicht hätte denken können.
Das ist auch folgerichtig der Geheimhaltungsgrad der meisten der bisher veröffentlichten Wikileaks-Dokumente. Confidential.
Als Nächstes kommt "Geheim". "Die Kenntnisnahme durch Unbefugte kann die Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen."
Das durfte ich als Obergefreiter im Bataillonsstab nicht wissen.
Dazu gehören dann aber passenderweise auch schon die Taktischen Karten, Landkarten auf denen verzeichnet
wurde, welche Truppenteile bei dem oben erwähnten Nato-Alarm wo in Stellung gehen, usw. (Um Himmels Willen,
Nato-Alarm war immer nur eine Übung, echter Alarm wäre schlimmmer gewesen, nicht schiessen, bitte :-).
Solche Karten zeichnen durfte ich nun wegen meiner fehlende Sicherheitsstufe Geheim eigentlich nicht, machte es aber auf Befehl
trotzdem. Praktische Lösung des Vorgesetzten: "Geheim ist das erst, wenn ich den roten Stempel
drauf gemacht habe." Und rechtzeitig zum nächsten Manöver wurde dann meine Sicherheitsstufe angepasst und ich durfte dann auch offiziell
"Geheimes" zeichnen, das dann drei Wochen später entsorgt wurde. Dann war endlich Ende März und ich war raus aus der Nummer.
Secret heisst das in der NATO. Dokumente dieser Stufe finden sich auf Wikileaks durchaus auch.
"Streng Geheim", "Top Secret", habe ich demzufolge nie kennengelernt. Der Vollständigkeit halber: "Die Kenntnisnahme durch Unbefugte kann den Bestand oder
lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden." Uiuiuiui...
Fazit: So überwiegend brisant sind die Wikileaks Tröpfchen dann doch eher nicht. Vertraulich, halt meist. Genau so verbreitet
man Gerüchte. "Sag es nicht weiter" ist schon seit Urzeiten die sicherste Methode,
eine Nachricht zu verbreiten. 250000 Seiten Klatsch für die politische Regenbogenpresse,
mehr nicht. Nur nicht die versprochenen Geheimnisse. Das dürfte auch schwieriger sein, denn
je geheimer ein Dokument ist, desto weniger "Kopien" gibt es davon und ganz egal, wie sehr
man versucht, dieses Dokument zu anonymisieren, um die Quelle zu schützen, der Inhalt
des Dokumentes und letztlich auch seine blosse Existenz sind schon eine heisse Datenspur,
die mit dem Finger dahin zeigt, wo die Sicherheitslücke ist. Und diese Spur kann
man nicht wegeditieren, ohne das Dokument unglaubwürdig und damit nutzlos zu machen.
Tja, und Private 1st Class Manning schmort für all den Rauch um Wenig im Knast. Die Unterstützung, die Wikileaks ihm für den Prozess
versprochen hat, wird immer fraglicher, weil das Geld "unerwarteterweise" selber dringender
gebraucht wird. Wer ist denn nun der Überbringer der schlechten
Nachricht, den man umbringen will? Der selbstproduzierte Märtyrer, oder der Obergefreite
mit dem nicht genügend überdachten Mausklick?
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