Ein zarter Lichtstrahl fällt durch das halbblinde Fenster
auf meinen Monitor und versperrt den Ausblick auf wichtige Daten. "Aha, es
ist wieder Frühling", schießt es durchs Hirn. Mühsam reisse ich den Blick
los von der zweidimensionalen Schlichtheit und wende ihn gartenwärts.
Langsam dringt Frühlingswirklichkeit in mein Bewußtsein. Ein letztes Mal
gleitet das Auge über die Reihe der Bildschirme, die im Licht der jungen
Sonne zu verblassen drohen. Schon halb auf der Treppe und auf dem Weg in
den nahen Park durchzuckt mich die Frage: "Wie konnte das alles
passieren?"
Meine erste Begegnung mit dem Computer hatte ich während
der Ausbildung zum Elektromechaniker. Der Personalcomputer war knapp zwei
Jahre alt und hatte seinen Siegeszug gerade erst begonnen, aber schon
waren, zumindest für angehende Techniker, die Springfluten erkennbar, die
er mit sich bringen würde. Da die Ausbildungsvergütung, die ich damals
erhielt, bei weitem nicht ausreichte, um mich in den Besitz der begehrten
Geräte zu setzen, blieb es zunächst bei einer platonischen Beziehung. Die
sah so aus, daß ich ständig zum Zeitschriftenhändler lief, um die neuesten
Fachzeitschriften zu erstehen und selbige in der Abgeschiedenheit meiner
Wohnung zu verschlingen.
Rund ein Jahr später erfolgte dann der erste große
Einbruch auf dem Computermarkt: Sir Clive Sinciair brachte mit dem ZX80
erstmals einen Homecomputer auf den Markt, der für kleine Geldbeutel
erschwinglich war. Für weniger als tausend Mark konnte man nun ein
zigarrenschachtelgroßes Etwas erstehen, das bei der kleinsten Berührung
die Arbeit von Stunden vergaß und etwa soviel Speicherplatz hatte, wie
heute benötigt werden, um die ersten zwei Zeilen einer Grafik
darzustellen. In der Tat war die Leistungsfähigkeit dieser Maschine so
begrenzt, daß einem gar nichts anderes übrig blieb, als sich mit der
Alchimistenküche der maschinennahen Programmierung zu beschäftigen, alles
andere hätte in der Ausführung viel zu lange gedauert.
Die Werkzeuge, die dem ZX80/81-Programmierer zur
Verfügung standen, waren der Rechner selbst, das bis heute unerreicht gute
Handbuch, sowie Rod Zak's "Programming the Z80", alle Lektüre
selbstverständlich in englischer Sprache, denn der deutsche Markt
existierte noch nicht. Die Umsetzung in eine maschinenlesbare Form geschah
im Kopf und auf Bergen von Papier, denn es gab keine Programme, die diese
Arbeit übernehmen konnten. Der Prozessorbefehl wurde anhand der
Zeichentabelle im Handbuch verschlüsselt und das zugehörige Zeichen
virtuos auf der fünffach belegten Tastatur in den Rechner gehackt. Es hat
eigentlich nie wieder so unmittelbare Erfolgserlebnisse für mich gegeben,
wie damals, wenn sich nach fünf Stunden intensivster Arbeit herausstellte,
daß man tasächlich schnell bewegte Bilder mit dieser oft als
Digital-Türstopper verrissenen Maschine erzeugen konnte. Gewiß, die
grafische Darstellung war nicht besser als das legendäre TV-Tennis, das
den Ruhm der Videogames begründete, aber erschwingliche Alternativen gab
es halt nicht.
Der nächste Meilenstein für mich war der Commodore VC20.
Diesen Rechner würdigte ich dadurch, daß ich ihn nicht kaufte, denn es war
klar, daß da mehr sein mußte als ein farbiger ZX81, bei dem jede
Erweiterung einen Monatslohn kostete. Und richtig, wenig später erschien
der Commodore 64 auf der Bildfläche, ein vielfarbiger Speicherriese mit
vollen 64 kB Speicher, der Möglichkeit, einfach Zusatzgeräte wie
Floppy-Laufwerke und Drucker anzuschließen und mit damals 1400 DM
unerreicht preiswert, wenn man die neuen Möglichkeiten mit dem
Marktstandard verglich. Im Gegensatz zu anderen Maschinen, die vielleicht
mehr freien Speicher hatten, oderschneller waren, hatte der C64 den
Vorteil, eine wirklich offene Maschine zu sein, die sich mit
vergleichsweise geringem Aufwand auch für Dinge nutzen ließ, an die wohl
nicht einmal der Hersteller gedacht hat. Dies zeigt sich auch daran, daß
dieser Rechner nunmehr im sechsten Jahr steht und sich millionenfach
verbreitet hat. Das Angebot an Programmen ist schier unübersehbar
geworden, wenngleich auch der Schwerpunkt bei den Computerspielen
anzusiedeln ist, weniger bei Gebrauchssoftware.
Das Interesse am C64 hielt zwei Jahre und flachte
dann ab. Irgendwie wurde es unbefriedigend, immer wieder irgendwelche
Spiele zu spielen, oder sich mit einem unzulänglichen Textprogramm
herumzuärgern. Die unvermeidliche Erkenntnis, daß man seine private
Adressenliste doch besser mittels eines Notizbuches führte, statt mit dem
Computer, der erschreckend unrationell war, wenn man drei Minuten auf eine
Ausgabe warten mußte, die man auch binnen Sekunden hätte nachschlagen
können, tötet jede Euphorie. Die Tage, an denen die Kiste ausgeschaltet
blieb, mehrten sich und im Frühjahr 1984 war alles zum Stillstand
gekommen. Die Situation war ähnlich wie bei einer vom Bankrott bedrohten
Firma, mit dem vorhandenen Material war nichts mehr anzufangen, trotzdem
stellte es einen Wert dar, der zu nutzen war. Logische Konsequenz:
entweder weiter investieren oder alles als Verlust abschreiben. Da traf es
sich gut, daß die Post nach langem Hin und Her endlich die Erlaubnis
erteilt hatte, Geräte zur nichtöffentlichen bewegten Datenübertragung zu
benutzen, die sogenannten Akustikkoppler, die zu Preisen um 1000 DM den
Einstieg ins Weltdatennetz anboten.
Epson CX21 hieß der Schlüssel zum globalen Dorf, und war
ein unscheinbares, kantiges Etwas, das sich standhaft weigerte, etwas
anderes als den Hörer einer grauen Maus, wie der Fernsprechtischapparat
612 gerne genannt wird, zu akzeptieren. Dieses Gerät setzte die Zeichen,
die der Computer von sich gab, in hörbare Töne um und konnte entsprechende
Töne eines anderen Computers wieder in ein maschinenkonformes Format
umsetzen. Die Faszination dieser eher profanen Maschine lag darin, daß es
plötzlich egal war, weichen Computer man benutzte, ob am anderen Ende des
Drahtes ein Homecomputer oder ein Großrechner war, und wo dieser fremde
Rechner stand. Japan, Amerika, Afrika - das alles schrumpfte zu mehr oder
weniger langen Vorwahlen und im heimischen Wohnzimmer gaben sich Leute ein
Stelldichein im grünen Schimmer ihrer Monitore, ohne sich jemals von
Angesicht zu Angesicht gesehen zu haben.
Selbst bei der besten interkontinalen Sprechverbindung
ist man sich immer der Entfernung zum Gesprächspartner bewußt, so typisch
sind die Laufzeiten der Signale, das Rauschen transatlantischer
Tiefseekabel und das Echo ferner Satelliten. Beim Gespräch von Tastatur zu
Tastatur entfallen diese Merkmale, es gibt keine Hinweise mehr auf die
Entfernung zwischen den Stationen und Meldungen wie "Connection 80,
Capetown" sind bloße Zeichen auf dem Schirm ohne weitere Bedeutung. Die
Sprache der Computer ist Englisch, und das ist auch die Sprache, die man
überall im globalen Dorf versteht. Umso größer ist dann die Überraschung,
wenn man feststellt, daß der Gesprächspartner, den man im fernen Japan
wähnt, nur ein paar Straßen weiter in Hamburg wohnt und sich nur zufällig
auf den gleichen Rechner in Übersee eingewählt hat.
Meist ist es die Post, die vermittels Ihrer
Fernmelderechnungen den Sinn für Realitäten wieder geraderückt. Nach
etlichen tausend Gesprächseinheiten tritt die Ernüchterung ein und man
beginnt damit, sich Gedanken über andere Nutzungsmöglichkeiten zu machen.
Bleibe im Lande und nähre dich redlich, so lautet die Devise und
internationale Kontakte schrumpfen auf das unvermeidliche Mindestmaß. Nur
gab es damals in Deutschland bloß eine Handvoll von Systemen, die man per
Telefon erreichen konnte, und in Hamburg gar nur zwei, nämlich den Rechner
der Universität, der hoffnungslos überlastet war und mehr als subversive
Müllhalde diente, denn als Kommunikationssystem, sowie MCS.
MCS heißt Master Control System, und das ist eine
schlichte Übertreibung, denn hinter dem klangvollen Kürzel verbarg sich
ebenfalls ein C64 und ein einigermaßen chaotisches Basicprogramm sorgte
dafür, daß alles möglichst absturzfrei funktionierte. Zu einer Zeit, als
Datenfernübertragung für die meisten Benutzer noch reiner Selbstzweck war,
bot MCS die Möglichkeit, einem der anderen hundert oder zweihundert
Benutzer eine Nachricht zukommen zu lassen, oder aber seine Ergüße in
einem öffentlichen Brett auf die Allgemeinheit loszulassen. "Warum
schreibt mir denn keiner ne PME?" und "Kilroy was here" waren typische
Nachrichten in diesen Tagen, nur hin und wieder von einigermaßen
inhaltlichen Beiträgen unterbrochen. Aber, und nur das ist letztlich
wichtig, MCS war eine der ersten Mailboxen, die es ermöglichten, sich
unabhängig von den bestehenden Netzen zu machen, eine eigene
DFÜ-(Sub)Kultur zu entwickeln und ich nutzte diese Möglichkeit zweimal
täglich, wann immer es ging.
Irgendwie kam ich im Herbst 1984 zu einem zweiten
Rechner, ebenfalls einem C64. Dieser stand zunächst nutzlos herum und
hüllte sich in Staub und Nutzlosigkeit. Das Schicksal wollte es, daß mein
1nteresse an MCS auch wieder im Erlahmen begriffen war, einfach weil es
zuwenig Inhaltliches gab, das meine Neugier weckte oder meine Phantasie
anregte, und weil beinahe täglich neue Dinge ins Programm kamen, die man sich merken mußte, wollte man
dabeibleiben. Hinzu kam die ständig wachsende Zahl der Benutzer, die es
sehr oft unmöglich machten, zu vernünftigen Zeiten in die Mailbox zu
kommen, was einem gestandenen Hacker zwar nichts ausmacht, aber doch
lästig ist, wenn man Morgens um Sechs aufstehen und arbeiten muß. Andere
Benutzer hatten das auch erkannt und der große Mailboxboom in Hamburg
begann, denn die logische Folgerung, wenn man mit etwas unzufrieden ist,
ist, es besser zu machen. Ich besorgte mir also das Programm der
MCS-Mailbox, bastelte eine Apparatur, die den Telefonapparat bediente und
machte meine eigene Mailbox auf.
Die Tatsache, daß ich auf zwei Computer zugreifen konnte,
war eine der idealen Startbedingungen für die eigene Mailbox. Im Gegensatz
zu den meisten anderen Betreibern, die ihren einzigen Computer
zweckentfremdeten, war ich in der Lage, die Dienste der Mailbox von Anfang
an rund um die Uhr anzubieten, wenn man von kleinen Pausen zwecks
Eigennutzung des einzigen Telefonanschlusses mal absieht. Die ersten drei
Monate gab es nur einen inoffiziellen Probebetrieb, die Rufnummer war nur
guten Freunden bekannt, die das Programm auf Herz und Nieren testen
sollten. Große Fehler waren nicht zu erwarten, so dachte ich, da das
Programm ja schon mehrfach von anderen Betreibern eingesetzt wurde.
Daß dies ein Denkfehler war, stellte sich erst im Laufe
der Zeit heraus, als ein versteckter Fehler nach dem anderen zutagetrat.
Das brannte die Erkenntnis in mein Hirn ein, daß kein Programm fehlerfrei
sein kann, und die Wahrscheinlichkeit, schwerwiegende Fehler vor ihrem
Auftreten zu entdecken, umgekehrt proportional zu dem Schaden ist, den sie
anrichten. Wohl in keinem anderen Bereich werden einem Murphy's Gesetze so
deutlich bewußt, wie beim Umgang mit dem Computer.
Eine Hürde gab es noch zu überwinden, nämlich einen
sinnreichen Namen zu finden, der sich einprägsam abkürzen ließ, genau wie
MCS, RAM und wie sie alle heißen. Da für mich feststand, daß mein System
sich deutlich von den anderen abgrenzen sollte, war es nur konsequent,
zuerst die Abkürzung zu ersinnen, und dann einen Begriff zu schaffen, der
sich passend abkürzen ließ. Da ich wenige Jahre zuvor bei einer Rockgruppe
namens Goblin mitgemischt hatte, und diesen Namen dann als Pseudonym für
meine Datehreisen benutzt hatte (und das auch heute noch tue), lag es
nahe, auch für die Mailbox einen Namen aus diesem Bereich zu wählen. Nach
drei Flaschen Bier und wehmütigem Hineinhorchen in alte Aufnahmen der Band
war es dann sonnenklar: CLINCH sollte das Projekt heißen, ein Kürzel, das
eine gewisse Eigendynamik mit sich bringt und beim Leser Assoziationen
weckt. Nur - für was um Alles in der Welt ist das eine Abkürzung? Etliche
Biere später, dem Vollrausch und dem Wahnsinn gleich nahe, hatte ich dann
endlich einen Anglizismus ausgebrütet, der sich passend abkürzen ließ:
Communication Link - Information Network Computer Hamburg, auf schlecht
Deutsch: Verständigungsglied - Informationsnetzwerkcomputer Hamburg, ein
absolut hochtrabender Name, der keinsfalls mit der Realität
übereinstimmte, die in Gestalt eines C 64 vor sich hindümpelte.
Nun, die Netze entstehen in den Köpfen. Und eines Tages
war der Tag da, an dem ich den großen Schritt wagte: Die Rufnummer der Box
wurde auffällig unauffällig in einer anderen Hamburger Mailbox plaziert
und ich wartete gespannt auf das, was kommen sollte. Die Stunden verrannen
und nichts geschah. Nicht ein Anrufer verirrte sich in meinen Computer und
Verzweiflung machte sich breit. Später begann es zu dämmern, und zwar
sowohl dem dahingehenden Abend, als auch mir. Ich warf die Lacklederkutte
über und begab mich treppab zur nahen Telefonzelle. Der Kontrollanruf bei
mir selbst ergab, daß offenkundig doch jemand angerufen hatte, natürlich
just in dem Moment, als ich auf dem Weg zur Zelle war. Also flugs zurück
in die heimische Wohnung, drei Stufen auf einmal nehmend, die Türe
aufgeschlossen, ein Blick auf den Monitor und - Ratlosigkeit. Der Rechner
wartete nach wie vor stoisch auf den ersten Anrufer.
Eine genaue Analyse der Ereignisse und Nichtereignisse
legte den Schluß nahe, daß wohl ein Fehler in der ausgefeilten
Abhebemechanik vorlag, die ich ersonnen hatte, um mich nicht völlig ins
Gesetzesabseits des illegalen Modemeinsatzes zu begeben. Mein kleiner
Roboterarm, dessen Aufgabe es war, die Telefongabel niederzudrücken, wenn
der Rechner es ihm befahl, hatte offenbar nicht genügend Kraft, um das
Telefon sicher aufzulegen. Eine kleine technische Änderung wurde
vorgenommen, und es funktionierte wieder zufriedenstellend. Programmgemäß
kam der erste Anruf dann auch fast unmittelbar nach Beseitigung der
Störung. Gespannt verfolgte ich die Schritte, die der Anrufer in der Box
unternahm. Offensichtlich war er schon an Mailboxen gewöhnt, die nach dem
MCS-System arbeiteten, denn er hatte kaum Probleme, sich zurechtzufinden.
Selbst die Abweichungen, die ich mir erlaubt hatte, um die schwindende
Befehlslogik des Programms aufrechtzuerhalten, machten ihm nichts aus und
er entschwand nach etlichen Minuten mit dem Kommentar "Hier steht ja noch
gar nichts drin...". Das war der Zeitpunkt, an dem mir klar wurde, daß es
nicht ausreicht, einen Rechner übrig zu haben und darauf ein halbwegs
funktionierendes Mailboxprogramm laufen zu lassen, sondern daß man sich
auch darum kümmern mußte, was in der Mailbox passierte. Diese Erkenntnis
kommt bei manchen Betreibern leider nie, und ich bin diesem ersten Anrufer
heute noch dankbar für dieses erste, vernichtende Urteil.
Ich begann also, mir Gedanken zu machen, was ich denn in
meiner Box anders machen wollte, als die anderen Betreiber. Leider war das
Grundkonzept des von mir verwendeten Programms nicht gerade dazu angetan,
die mir vorschwebenden Anderungen durchzuführen. Hinzu kam, daß die Art,
wie das Programm erstellt worden war, nicht gerade dazu animierte, eigene
Änderungen und Verbesserungen durchzuführen. Noch heute sträuben sich mir
die wenigen verbliebenen Haare, wenn ich auf ein Programm stoße, das mit
dem Aufruf eines Unterprogramms beginnt, ohne daß die Notwendigkeit dieses
Tuns ersichtlich wäre.
Wie dem auch sei, der Not gehorchend machte ich aus
selbiger eine Tugend und begann recht bald damit, mich nach anderen
Programmen umzusehen. Im Lauf derZeit hatte ich eine recht stattliche
Anzahl davon zusammen und begann damit, mir anzusehen, wo die jeweiligen
Vor- und Nachteile lagen. Ich habe an anderer Stelle davon gesprochen, daß
der C64 ein Speicherriese sei; diese Aussage gilt es nun zu relativieren,
wenn es um so komplexe Dinge wie ein Mailboxprogramm geht. Der verfügbare
Speicher reicht einfach nicht aus, um all das hineinzupacken, was man
meint, zu brauchen. Das hat sich auch bei den jetzt üblichen
Megabyte-Giganten nicht geändert. Es scheint, als wäre jeder Computer für
den Zweck, zu dem man ihn einsetzen will, zu klein.
Aus dem Sammelsurium der verschiedenen Programme entstand
schließlich mein erstes selbstgeschriebenes Mailboxprogramm, das meiner
Meinung nach die Vorteile der verschiedensten Mailboxkonzepte vereinigte,
ohne ihre Nachteile zu haben. Die Benutzer waren zunächst anderer Meinung,
so gravierend waren die Abweichungen in der Bedienung von dem, was in der
Mailboxszene als Standard galt. Einige dieser Abweichungen waren technisch
bedingt, da ich nicht einsehen konnte, warum ich wertvollen Speicherplatz
für Suchroutinen verschwenden sollte, wenn sich jeder Benutzer die
Position seiner Daten selbst merken und diese dem System beim Anruf nennen
konnte. Viel wichtiger war es, so fand ich, dem Benutzer mehr zu bieten,
als einen stupiden Befehl, der ohne Berücksichtigung der Nutzerinteressen
die vorhandenen Nachrichten in einem Stück abspulte.
Folgerichtig hatte dieses Programm bereits eine
Brett-Struktur, die es gestattete, beliebigen Einfluß auf die Ausgabe der
Texte zu nehmen und das erschien mir als wesentlich sinnvollere Nutzung
des Speicherplatzes. Im Lauf der Zeit wurde das neue System schließlich
akzeptiert und es gab sogar etliche andere Mailboxen, die das Programm
übernahmen. Für mich wurde es langsam Zeit, mal wieder etwas Neues zu
machen, denn am Horizont zogen bereits die Sturmwolken auf, die anzeigten,
daß nunmehr der C64 an die Grenzen seiner Fähigkeiten gestoßen war.
Mittlerweile war ein Jahr vergangen, seit dem Tag, an dem CLINCH ans Netz
ging und die Computerwelt hatte nicht aufgehört sich weiterzudrehen.
IBM - Personalcomputer waren zum Industriestandard
geworden und fanden, dank sin kender Preise und qualitativ hochwertiger Nachbauten aus Fernost, auch Verbreitung bei
Privatleuten. Der erste PC kostete mich noch knapp 8000 DM, rund dreimal
soviel, wie ich bisher in Computer überhaupt investiert hatte. Dafür war
ich endlich in den Besitz eines Gerätes gelangt, dem von der Post die
Absolution in Gestalt der Zulassung für Datenfernübertragung erteilt
worden war. Wenige Tage nach dem Erwerb des Gerätes lagen meine Anträge
für Fernsprechmodems und einen Datex-Hauptanschluß an die Post im
Briefkasten. Das postmoderne Melodram, das der Antragstellung folgte, bis
schließlich ein halbes Jahr später alle Anträge ausgeführt waren, möchte
ich an dieser Stelle nicht beschreiben, es würde den Rahmen dieses
Beitrags sprengen.
Einen Computer besitzen, und mit diesem Computer umgehen
zu können, sind beim heutigen Stand der Technik zwei verschiedene Schuhe.
War es mir beim ZX80 und beim Commodore 64 noch möglich, viel Zeit zu
investieren, um auch intimste Detail dieser Maschinen zu erforschen, so
ging dies beim PC nicht mehr, schließlich hatte ich ja nicht diese
Riesensumme aufgebracht, um ein oder zwei Stunden am Tag durch das
Labyrinth eines neuen Betriebssystems zu wandern. Der Computer sollte den
C 64 als Mailbox ersetzen und so neue Möglichkeiten für das neue Medium
erschließen. Ich brach also meinen Schwur, nie wieder ein nicht von mir
selbst geschriebenes Mailboxprogramm zu verwenden und trat zwei Schritte
zurück.
Ich besorgte mir die nötige Software, baute meinen
Abhebemechanismus auf die Notwendigkeiten des neuen Rechners um, und
begann noch einmal von Null, mit nichts als dem mittlerweile recht guten
Namen CLINCH im Rücken. Zwei Probleme waren vordergründig: Zum Einen mußte
ein weiterer PC her, damit die nötige Softwareentwicklung unabhängig vom
Betrieb der Mailbox geschehen konnte. Der andere Punkt war die Tatsache,
daß die Postmodems und der Datexhauptanschluß, wenn sie denn eines schönen
Tages mal kommen sollten, Fernmeldegebühren von monatlich rund 500 DM.-
verursachen würden, die es zu finanzieren galt. Da es ein Grundprinzip
jeder marktwirtschaftlichen Ordnung ist, daß für erbrachte Leistungen
derjenige zahlt, der diese Leistung in Anspruch nimmt, wurde ein Konzept
entwickelt, das - im Gegensatz zu den bisher üblichen Verfahren - darauf
beruht, daß der Mailboxbenutzer einen festen Monatsbeitrag zahlt und somit
hilft, die Kosten für den Mailboxbetrieb zu tragen. Das bedeutete auf der
anderen Seite, die Mailbox gegenüber denen abzuschotten, die nicht bereit
waren, wenigstens einen kleinen finanziellen Beitrag zu leisten.
Mittlerweile nehmen über hundert zahlende Benutzer an der CLINCH - Mailbox
teil, was die Betriebskosten etwa zur Hälfte deckt, allerdings ohne daß
die mit dem Betrieb verbundene Arbeit entsprechend honoriert wird. In
Zusammenarbeit mit den Wüschen und Bedürfnissen der zahlenden Benutzer
entstand so ein Mailboxsystem, das sowohl von der Bedienung, als auch von
den Inhalten her seinesgleichen sucht. Trotz alledem sind die
Möglichkeiten, die die heutige Technik bietet, noch nicht voll
ausgeschöpft und es ist wieder an der Zeit, ein gutes Stück auf dem
eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
Bisher habe ich eigentlich nur davon berichtet, wie es
mir persönlich beim Umgang mit dem Werkzeug Computer und den Streifzügen
durchs globale Dorf gegangen ist. Mittlerweile habe ich mein eigenes
Gasthaus in diesem Dorf gebaut und folgerichtig mu ß nun auch die Rede von
den Gästen sein, die dieses Haus bewirtet.
Der Menschenschlag, dem man im globalen Dorf begegnet,
ist gebrandmarkt, tief ins Fleisch ist der Stempel "User" eingebrannt. Das
läßt sich ausnahmsweise sehr treffend mit "Benutzer" ins Deutsche
übersetzen. Ein "User" ist halt jemand, der einen Computer benutzt. Dabei
wird dieses Prädikat völlig vorurteilsfrei verliehen, ohne Ansicht der
Person, des Alters, des Geschlechts oder der politischen Weltanschauung.
Der einzige Grund, weswegen man manchmal schief angesehen werden kann, ist
der Besitz des falschen Computers. Aber selbst dieses
Diskriminierungsmerkmal verliert zunehmend an Bedeutung, je länger man im
Dorf lebt. Die Zeit der Familienfehden, als Atari gegen Commodore kämpfte,
ist mit dem Aussterben der Prozessorpatriarchen zuende gegangen und
einträchtig hocken die ehemals verfeindeten Sippen zusammen und brüten
über einem gemeinsamen Betriebssystem.
Natürlich gibt es User,
die schon seit Urzeiten dabei sind, und solche, die gerade ihre ersten
tapsigen Schritte unternehmen. Für den Mailboxbetreiber sind beide Gruppen
interessant, denn nichts ist unterhaltsamer, als einem alten Hasen
zuzuschauen, wie er mit viel Elan all die Befehle eingibt, die er woanders
schon im Schlaf beherrscht und die hier unweigerlich ins Leere führen
müssen. Nichts ist schlimmer, als immer wieder von der Mailbox darauf
hingewiesen zuwerden, daß der eingegebene Befehl nicht erkannt werden konnte
und daß die Eingabe des Wortes "Hilfe" weiterführen würde. So etwas ist
grundsätzlich unter der Würde desjenigen, der sich für einen geübten
Netzflaneur hält. Allenfalls ist er bereit, gelegentlich mal ein "Help"
einzustreuen, nur um wiederum beschieden zu werden, daß es einen solchen
Befehl nicht gibt und er doch bitte deutsch reden möchte. An dieser Stelle
scheidet sich gewöhnlich die Spreu vom Weizen, entweder der Anrufer legt
genervt auf, oder er schafft den Sprung über den eigenen Schatten und
bedient sich der angebotenen Hilfe. Nur im letzteren Fall hat er natürlich
eine Chance, jemals in den Genuß der Vorzüge des Systems zu kommen. Sollte
er zur Gruppe der notorischen Aufleger gehören, nun, dann ist es kein
allzugroßer Verlust, denn was kann man schon von jemand erwarten, der so
schnell aufgibt ?
Der andere Typus, also derjenige, der gerade erst
versucht, sich im Dorf zu orientieren, zeigt ähnliche Verhaltensmuster,
nur vielleicht ein Spur ausgeprägter. Wobei er naturgemäß kein
selbsterworbenes Wissen mitbringt, sondern allenfalls ein umfangreiches
Repertoir angelesener Fehler. Wenn dazu noch ein leicht cholerisches
Naturell kommt, ist das Ergebnis programmiert: Die Informationen der
Mailbox erschlagen den Neuling und er legt frustriert auf, mit dem Schwur
auf den Lippen, nie wieder anzurufen. Oder er stellt fest, daß sein
angelesenes Wissen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt, die er nun
vorfindet. Das ist wie mit den Fahrbahnmarkierungen auf unseren Straßen,
die weißen sind Ergebnis sorgfältigster Verkehrsplanung, aberdie gelben
sagen, wo es wirklich langgeht. Die meisten Autofahrer folgen, bewußt oder
unbewußt, den gelben Streifen, aber ein kleiner Teil verschwindet als
Geisterfahrer auf der Gegenfahrbahn und kein Warnlicht kann ihn davon
abhalten. Warnlichter und gelbe Leitmarkierungen sollte jedes
Computerprogramm haben, man nennt dies dann Benutzerführung und dieses
Prinzip stößt exakt da auf seine Grenzen, wo der Benutzer sich nicht
führen läßt.
Die Mehrzahl der heutigen Mailboxen überträgt die Informationen mit einer Geschwindigkeit von 30
Zeichen pro Sekunde, was langsam genug ist, um bequem mitlesen zu können.
Um so seltsamer muß es erscheinen, daß es eine Menge Leute gibt, denen es
offenbar völlig genügt, irgendetwas auf ihrem Bildschirm dargestellt zu
bekommen, ohne auch nur eine Sekunde daran zu verschwenden, was denn nun
in dem Text drinsteht. Beispielsweise gab meine Mailbox lange Zeit
hindurch den Hinweis aus "Gäste bitte Name : GAST benutzen", um darauf
hinzuweisen, wie man als Besucher in das eigentlich geschlossene System
herein kommt. Unmittelbar auf diesen Hinweis folgte dann die Aufforderung,
den Benutzernamen einzugeben: "Name : " Meist folgte dann eine Denkpause
von bis zu drei Minuten, die der Anrufer damit verbrachte, dieses offenbar
äußerst seltsame Verhalten der Mailbox zu deuten. Einige kamen zu dem
Schluß, daß dies zuviel geistige Anstrengung bedeute und legten schlicht
auf, ohne etwas eingegeben zu haben, andere gaben den Namen ein, unter dem
sie in anderen Mailboxen registriert waren, oder ignorierten die deutsche
Sprache und gaben sich als "Guest" zu erkennen. Die von mir erwartete
Reaktion, daß nämlich entweder der in meinem System bereits registrierte
Benutzername, oder aber das schlichte "Gast" eingegeben wurde, kam in den
seltensten Fällen.
Beispiel Zwei: Wenn die Mailbox einen Befehl nicht
versteht, weil er im Programm nicht vorgesehen ist, bietet das System die
Möglichkeit an, durch Eingabe des Befehls "Hilfe" weitere Erklärungen
abzurufen. Ich glaube, ich erwähnte es weiter vorne schon. Wenn der
Anrufer diesen wohlgemeinten Rat befolgt, erscheint folgender Text auf
seinem Bildschirm: "Gerne. . . Hilfstexte gibt es für folgende Befehle: ",
gefolgt von einer Liste der möglichen Befehle, dann geht es weiter: ". .
und zu den Stichworten: ", gefolgt von einer Liste möglicher Stichworte,
abschließend kommt noch der Hinweis: "Hilfstexte werden abgerufen, indem
man HILFE, gefolgt vom Befehl oder Stichwort eingibt, zum Beispiel HILFE
BOXKONZEPT". Danach wartet die Box mit der ihr eigenen Gelassenheit auf
die Eingabe des Benutzers.
In meiner Vorstellung ist das eine ziemlich klare
Hilfestellung, die wenig Deutungsmöglichkeiten offen läßt. Ob es nun daran
liegt, daß ich als langjähriger Computerbesitzer schon zu sehr in
computernahem Denken gefangen bin, oder ob es halt doch ein Unterschied
ist, ob man etwas auf Papier gedruckt liest, oder in der diffusen Präsenz
einer Datenverbindung, jedenfalls ist es für 90 Prozent aller Anrufer
zunächst unmöglich, diese Hinweise zu befolgen. Der häufigste Fehler, der
hier auftaucht ist es, einen Begriff aus der Stichwortliste einzugeben,
selbstverständlich ohne das Wörtchen "Hilfe" davor.
Absoluter Spitzenreiter ist dabei das Stichwort
"Neueintrag". Amateurfunker haben die Gewohnheit, sich gegenseitig
Bestätigungen über zustandegekommene Verbindungen zuzusenden, die
sogenannten QSL-Cards. Ähnliches gilt scheinbar auch im globalen Dorf,
selbst wenn man sicher ist, nie wieder in dieser Mailbox anzurufen, so
will man sich wenigstens in der Benutzerliste verewigen, um allen anderen
zu dokumentieren, wie weit man schon herumgekommen ist. Die zerfallenden
Säulen der Akropolis sind übersät mit ähnlichen "Beweisen" der Anwesenheit
von Touristen aus aller Herren Länder. Ähnlichen Motiven dürften auch die
eingangs erwähnten Nachrichten "Kilroy was here" in den öffentlichen
Brettern der diversen Mailboxen entspringen.
Schauen wir uns doch interessehalber mal ein paar der
Typen an, die den geplagten Sysop manchmal schier zur Verzweiflung treiben
und am eigenen Verstand zweifeln lassen. Ein Vertreter dieser Gattung ist
Der Schüchterne
Die Tatsache, daß nach vielen erfolglosen Wählversuchen
nun doch endlich der ersehnte Datenton aus dem Hörer schallt, verstört ihn
völlig und er legt sicherheitshalber sofort wieder auf, ohne auch nur den
Versuch zu machen, ein Datengespräch zu beginnen. Viele Leute, die diesem
Typus entsprechen, verkaufen ihren Akustikkoppler sofort nach diesem
unerfreulichen Erlebnis, damit sie nie wieder in so eine peinliche Lage
geraten können. Diejenigen, die es fertigbringen, trotzdem weitere
Versuche mit Mailboxen zu unternehmen, tasten sich Bit für Bit weiter in
den Datendschungel vor, der Sysop erkennt sie später daran, daß sie immer
noch völlig unmotiviert die Verbindung unterbrechen, weil irgendeine
Reaktion der Mailbox sie völlig verstört hat. Dabei kann es sich um eine
schlichte Fehlermeldung handeln, oder aber auch um die Tatsache, daß die
Mailbox genau das macht, was man ihr gesagt hat. Mit anderen Worten:Jedes
einzelnen Zeichen, das die Box sendet, kann für den Schüchternen Anlaß
sein, kommentarlos aufzulegen. Ein direkter Verwandter des Schüchternen
ist
Der Skeptiker
Er glaubt einfach nicht, daß Mailbox so einfach sein
kann, wie sie sich ihm am Bildschirm darbietet. Folgerichtig probiert er das, was die Mailbox ihm
vorschlägt, gar nicht erst aus, falls doch, so besteht er darauf, seine
eigenen Vorstellungen einzubringen und erweitert die Befehle um eigene
Eingebungen, mit dem Erfolg, daß entweder gar nichts passiert, oder aber
etwas ganz Anderes als das, was er wollte. Hat er sich so ein
ausreichendes Maß an Frust erworben, beendet er die Verbindung mit dem
vorgesehenen Befehl, nur um sich selbst zu beweisen, daß er so blöd nun
auch wieder nicht ist. Eine ansteckende Nebenform des Skeptikers ist
Der Überflieger
Er hat erstens ohnehin keine Zeit, ausgerechnet in dieser
Mailbox anzurufen, zweitens kennt er andere Mailboxen schon seit Jahren
und drittens weiß er ohnehin alles besser als der Sysop. Er ignoriert alle
Systemmeldungen völlig und zieht seine eigene Show ab, egal, ob was dabei
rauskommt oder nicht. Fehlermeldungen verursachen lediglich Achselzucken,
gefolgt von nochmaliger Eingabe der falschen Kommandos. Interessanterweise
kennt der Überflieger genau die Befehle, mit denen man Schmähbriefe an den
Sysop sendet, löscht seine Texte aber meistens wieder, bevor er das System
verläßt. Er benutzt dazu grundsätzlich den Befehl Logoff, weil er das mal
so gelernt hat, und legt dann auf, ohne abzuwarten, ob das tatsächlich der
richtige Befehl war. Die weitaus meisten Vertreter dieser Spezies sind
selber Sysop oder waren es zumindest einmal. Ahnlich verhält sich auch
Der Forscher
Auch ihn interessieren die funktionierenden Befehle der
Box überhaupt nicht, er verwendet stattdessen viel lieber seine Fantasie
auf die Erfindung neuer Befehle und führt minutiöse Aufzeichnungen
darüber. Er hat ein umfangreiches angelesenes Wissen aus
Computerzeitschriften und wendet dieses erbarmungslos auf alle Mailboxen
an, die er in die Finger kriegt. Als extrem störend empfindet er es, wenn
einer seiner Befehle tatsächlich einmal zu einem sinnvollen Ergebnis
führt, meist reagiert er dann wie der Schüchterne und legt einfach auf.
Ganz anders dagegen
Der Computerlegastheniker
Er würde nichts lieber sehen, als wenn die Mailbox nur
ein einziges Mal das tun würde, was er will, aber leider nie in der
richtigen Form eingeben kann. Seine bedeutendste Geistesleistung besteht
darin, seitenweise Erklärungen zur Boxbedienung zu lesen, ohne deren
Inhalt auch nur annähernd zu erfassen. Eine Zeichenfolge, die einmal sein
Auge passiert hat, verdampft rückstandslos in den öden Korridoren seiner
Ganglien. Er hat irgendwo mal gelesen, daß man in Mailboxen mit dem Befehl
Help weiterkommt und gibt diesen folgerichtig immer wieder ein, wobei es
ihm gar nicht zu Bewußtsein kommt, daß die Mailbox ihm ständig erklärt,
daß er doch das deutsche Wort Hilfe benutzen möge.
Gemeinsam ist diesen Typen, daß eigentlich nicht viel
dazugehört, um ihr Verhältnis zur Mailbox nachhaltig zu verbessern. Ein
bischen weniger Ignoranz vielleicht , und etwas mehr Aufmerksamkeit für
das, was zur Bedienung einer Mailbox wichtig ist. Immerhin zwingt ihre
Anwesenheit in den Mailboxen die Betreiber dazu, ständig darüber
nachzudenken, wie die Benutzerführung idiotensicher gemacht werden kann,
ohne sie und die Folgen, die ihr Dasein hat, wäre die Mailbox einer
anderen Gruppe hilflos ausgeliefert. Hauptvertreter dieser Gruppe ist
Der Schmierer
Er kennt sich in der Bedienung der verschiedensten Mailboxsysteme bestens aus, zumindest weiß er, wie er mit seinen geistigen Ergüssen
ein möglichst breites Publikum erreicht. Die Nachrichten, die er
hinterläßt, sind entweder völlig inhaltslos, oder dienen ausschließlich
der Selbstdarstellung und der Beschimpfung anderer Benutzer. Treffen in
einer Mailbox zwei oder mehr Schmierer aufeinander, so ist die Vorstellung
gelaufen und Megabyte auf Megabyte verschwindet zu Lasten sinnloser
Nachrichten, bis das ganze System zugemüllt ist. Es gibt Boxen, die dieses
Stadium schon lange erreicht haben, ohne daß es bemerkt wurde. Der andere
Hauptvertreter ist
Der Hacker
Eigentlich ist er kein wirklicher Hacker, sondern
lediglich eine Person mit destruktivem Charakter. Von Hackerethik hat er
noch nie gehört und schöpft sein Wissen aus den halbseidenen
Publikationen dubioser Verlage. Da sein angelesenes Wissen nicht
ausreicht, um in großen Systemen tätig zu werden, beschränkt er sich
darauf, in den lokalen Mailboxen Unsinn zu machen. Seine Kenntnisse von
Software und Hardware beschränken sich auf das, was er vom Hörensagen her
kennt, dementsprechend lächerlich nehmen sich auch seine Versuche aus, die
Mailbox zum Absturz zu bringen. Er hat immer noch nicht begriffen, daß
seine Aktionen letztendlich gegen sich selbst gerichtet sind, denn wenn
seine Strategie erfolgreich sein könnte, würde er sich selbst jeder
Möglichkeit berauben, im globalen Dorf mitzumischen.
Ein halbwegs fehlerfreies Mailboxprogramm und
nötigenfalls wirksame Zugangsbeschränkungen befreien den gestreßten Sysop
recht wirkungsvoll von diesen unangenehmen Zeitgenossen und sorgen für
erfrischende Ruhe im System, ohne der Spontanität Abbruch zu tun. Man
sollte nun meinen, daß der Rest der Mailboxbenutzer in aller Ruhe mit dem
System arbeitet, ohne den Sysop in den frühen Wahnsinn zu treiben, aber
weit gefehlt, auch unter den allseits geschätzten seriösen Benutzern gibt
es welche, deren Ansprüche den Sysop auf den Zimmer-Yucca schießen. Da ist
zum Beispiel
Der Vollprofi
Er hat seine Erfahrungen auf kommerziellen Mailboxen
gesammelt und überträgt sie nun weitgehend unreflektiert auf private
Systeme. Wenn er nicht auf Anhieb eine Verbindung zustandekriegt, verzieht
er sich in seinen Schmollwinkel und hadert mit sich, der Box und Gott und
der Welt. Er benutzt vorzugsweise die Befehle, die er von der
kommerziellen Box gewöhnt ist und registriert meistens nicht einmal, wenn
die Mailbox etwas ganz anderes macht. Als Ausgleich für den durchlebten
Frust überschüttet er den Sysop mit Forderungen, was alles am Programm wie
zu ändern wäre. Unglücklicherweise hat der Vollprofi meist ausgezeichnete
Kenntnisse gängiger Mailboxkonzepte und Programmiersprachen, so daß seine
Vorschläge meist peinlich detailliert ausfallen. Bei Sysops, die nur aus
moralischer Not das Programmieren gelernt haben, kann dies durchaus
Auslöser für Suizidversuche sein. Etwas harmloser ist da schon
Der Semiprofi
Er ist sich der Tatsache durchaus bewußt, daß er es mit
einem unzulänglichen System zu tun hat und ist auch an und für sich
bereit, mit den Mängeln zu leben, wenn man nur dieses und jenes eventuell,
wenn es nicht zuviel Mühe macht, und wenn es die Zeit erlaubt, in dieser
und jener Hinsicht ändern könnte. Er wiederholt diese Bitte sooft, bis der
Sysop entnervt aufgibt und zumindest etwas Ahnliches programmiert, weil er
genau das schon seit langem machen wollte.
Selbstverständlich gibt es dann noch Leute wie Du und ich
, die dem Sysop das Leben erleichtern, wo sie nur können, die inhaltlich
arbeiten und selbst Verantwortung übernehmen. Die Zeit der ersten
zaghaften Schritte durchs globale Dorf sind vorüber und die teils
reißerische Berichterstattung der Fachpresse hat ein Heer von
Datentouristen mit sich gebracht, die auf die Ureinwohner losgelassen
werden und ihre eigene Kultur verbreiten. Die Szene muß diese Leute
auffangen und das Verhalten Aller regulieren, oder sie geht unter.
Als Betreiber einer Mailbox steht man diesen
Ungereimtheiten im Benutzerverhalten einigermaßen hilflos gegenüber. Wenn
man seine Mailbox gerade eben eröffnet hat und sehnsüchtig darauf wartet,
daß sich etwas tut, ist man bereit, um jeden User zu kämpfen, man lauert
stundenlang, tagelang, nächtelang vor dem Monitor, ist sofort bereit,
einen stundenlangen Dialog von Tastatur zu Tastatur zu führen und
unterstützt die Anrufer, wann immer man auch nur entfernt befürchtet, es
könnte der letzte Anruf gerade dieses Menschen sein, der so viel Gutes in
anderen Mailboxen produziert. Jede Kritik, die ausgesprochen wird, trifft
mitten ins Herz, und man setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um aus dem
Programm das herauszukitzeln, was die Benutzer wünschen. Mit wachsender
Erfahrung und steigender Frequentierung der Mailbox wird man meist ruhiger
und es kommt zu einem Lernprozeß für den Betreiber, der zwangsläufig auf
eine Entscheidung hinausläuft. Dabei stehen drei Alternativen zur
Verfügung, die je nach Temperament des Betreibers gewählt werden. Einige
geben ganz auf, motten ihren Computer ein , nur um ihn nach mehr oder
weniger langer Zeit wieder hervorzukramen und sich erneut ins Leben des
globalen Dorfes, zu stürzen, entweder um endlich, endlich konstruktiv an
den eigenen Utopien und denen der Anderen weiterzubauen, oder aber um sich
mit Elan in eine fremde Mailbox zu stürzen und dort hingebungsvoll all die
Befehle zu probieren, die man bei anderen belächelt hat. Andere denken
sich ihr Teil und machen einfach weiter, ungeachtet dessen, was in der
Welt um sie herum geschieht. Diese Mailboxen erkennt man daran, daß sie
völlig abgeschottet von der technischen und gesellschaftlichen
Weiterentwicklung über Jahre hinaus vor sich hin existieren, ohne nach dem
Wenn und Aber zu fragen. Wieder andere erarbeiten sich eine dicke Hornhaut
und ziehen ihre Vorstellungen durch, allein oder in Zusammenarbeit mit
anderen entwickeln sie die technischen und inhaltlichen Möglichkeiten
dieses faszinierenden Mediums weiter. Dabei verselbständigen sich
zwangsläufig gewisse Dinge und niemand sollte erwarten, daß sich ein
Mailboxbetreiber, dessen System jährlich 15000 Anrufe verarbeitet, noch so
intensiv um jeden Einzelnen kümmern kann, wie in den ersten Monaten. Je
umfangreicher das Projekt Mailbox wird, desto schwieriger wird es, Allen
gerecht zu werden und desto mehr bleibt der Idealismus auf der Strecke.
Es gäbe noch eine Menge mehr zu erzählen, Anekdoten und
Anekdötchen, von Usern und Abusern, von Frust und Lust des Sysops, von
Hoffnungen und Wünschen, erfüllten und unerfüllten Erwartungen, aber es
soll jetzt genug sein. Ich hoffe, es waren einige Denkanstöße dabei und
ich habe eine Menge erzählt, von dem was wirklich los ist. . .
... am anderen Ende des Drahtes.